Kalverams Entdeckung: Unterschied zwischen den Versionen
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Tulda, die geflohen war, hatte getan, was Endel und sein Haufen befürchtet hatten: Sie hatte das Lager verraten, und zwar an einen Mann, der sich Klavian nennt und der von sich glaubt und behauptet, als rechtmäßiger Bischof des Nordens der Schlüssel zur ceridischen Rettung des Königreichs zu sein. Keiner von uns hatte seinen Namen zuvor gehört und wir alle hegen schwere Zweifel an seiner Ehrlichkeit und seinen Absichten. Doch ich will nicht vorgreifen. | Tulda, die geflohen war, hatte getan, was Endel und sein Haufen befürchtet hatten: Sie hatte das Lager verraten, und zwar an einen Mann, der sich Klavian nennt und der von sich glaubt und behauptet, als rechtmäßiger Bischof des Nordens der Schlüssel zur ceridischen Rettung des Königreichs zu sein. Keiner von uns hatte seinen Namen zuvor gehört und wir alle hegen schwere Zweifel an seiner Ehrlichkeit und seinen Absichten. Doch ich will nicht vorgreifen. | ||
Klavian griff eines frühen Morgens mit einen Heerbann von vielleicht tausend Söldnern an. Der Kampf kostete viele das Leben, auch Unbewaffnete, und noch vor dem Mittag lagen alle Überlebenden in Ketten. | Klavian griff eines frühen Morgens mit einen Heerbann von vielleicht tausend Söldnern an. Der Kampf kostete viele das Leben, auch Unbewaffnete, und noch vor dem Mittag lagen alle Überlebenden in Ketten. Wir hatten uns von Anfang an beiseite gestellt und uns als Gefangene zu erkennen gegeben, was man uns auch auf Anhieb glaubte. Das überraschte uns im ersten Moment, doch wir fanden bald heraus, wer dafür verantwortlich war. Gleich nach dem Kampf ging der Bischof mit Tulda, der geflohenen Gefangenen, durch die Reihen und tötete nach ihrem Rat die meisten, manche davon sehr qualvoll. Ihr Geschrei nahm nicht ab den ganzen Nachmittag. Jeweils auf Tuldas Empfehlung bot er wenigen, die er für das Kriegshandwerk geeignetet und indifferent genug hielt, die Aufnahme in seinen Heerbann oder einen schnellen Tod an. Dabei versprach er auch, die Familien zu verschonen und sie ebenfalls aufzunehmen. Die meisten willigten ein. So erhielt der bischöfliche Heerbann vielleicht zwanzig zusätzliche Söldnerinnen und Söldner und ein paar zusätzliche Familienangehörige. Der verbliebene Rest wurde behandelt wie angekündigt. | ||
Alles, was an Vorräten zu finden war wurde eingesammelt, das Dorf niedergebrannt. Dann wurden wir zu Klavian und Tulda gebracht. Klavian erklärte uns, dass auch wir nun die Ehre hätten, zum Heerbann des Bischofs zu gehören. Man brachte uns unsere Maulesel, unsre Karren, Vorräte, Werkzeuge, Waren - alles war vollständig und unbenutzt! - und wies uns an, dem Zug ins Heerlager zu folgen, dessen Zelte einige Wegstunden entfernt in Sicht kamen. | Alles, was an Vorräten zu finden war wurde eingesammelt, das Dorf niedergebrannt. Dann wurden wir zu Klavian und Tulda gebracht. Klavian erklärte uns, dass auch wir nun die Ehre hätten, zum Heerbann des Bischofs zu gehören. Man brachte uns unsere Maulesel, unsre Karren, Vorräte, Werkzeuge, Waren - alles war vollständig und unbenutzt! - und wies uns an, dem Zug ins Heerlager zu folgen, dessen Zelte einige Wegstunden entfernt in Sicht kamen. | ||
Das Lager war auf ein paar verwucherten, ehemaligen Feldern errichtet, Kinder und alte Frauen sammelten von verwildernden Getreidestängeln eifrig einzelne Ähren von den Halmen, um sie zu mahlen. | |||
== Die Strauchdiebe == | == Die Strauchdiebe == | ||
Nach Bocksloch, das weit südöstlich lag, waren wir eine Weile unterwegs. Die wichtigen Verkehrswege waren fast überall verlassen, doch im Hinterland gab es das ein oder andere Dorf, wo man uns manchmal sogar eine Unterkunft anbieten konnte. | |||
Eines Abends fanden wir abseits der Straße einen Gutshof, und wir hofften, dort vielleicht eine Nacht in Strohbetten verbringen zu können. Doch kaum dass wir das schön angelegte Geviert aus Wirtschafts- und Wohngebäuden erreichten, wurden wir von einer Bande von vielleicht zwölf Strauchdieben angegriffen. Es war der einzige wirkliche Kampf, den wir auf unserer Reise auszufechten hatten. | |||
Den Anführer, der auf uns zukam und herablassend etwas von wehrlosen Händlern zu sagen begann, ließ Normund gar nicht erst ausreden sondern griff ihn direkt nach vorn an, Gilbert und Weldo dicht an seiner Seite. Harkil warf eine Axt nach einem Bogenschützen, der an einem Fenster oberhalb stand. Ephraima und Pernillo standen plötzlich rechts und links hinter den Flanken der Angreifer (ich könnte nicht erklären, wie sie dorthin gekommen waren), Harkil und ich setzten nach. Nach wenigen Momenten war der Kampf vorbei, gewonnen von den wehrlosen Händlern. Allein Normund trägt heute ein Andenken daran in seinem Gesicht. | |||
Wir ließen die Toten nach Art des Landes liegen, plünderten die Küche des Hauses, in dem der Bogenschütze sich versteckt hatte und zogen weiter, die Nacht durch. Man weiß nie. | |||
== Zu Gast in Bocksloch == | == Zu Gast in Bocksloch == |
Version vom 3. März 2018, 21:17 Uhr
Ein abenteuerlicher Reisebericht, vorgetragen zur Herrscherbegegnung am 26. Saarka II, 45 n.A. III, niedergeschrieben ebenda von Lupert Pfannenblei, Arnacher Ingenieurscorps, veröffentlicht im Trommler, dem freien Nachrichtenblatt der Markgrafschaft Norrland-Brassach, erschienen im 81. Heligonischen Boten im Auftrag von Gilbert von Dachsrode, Anführer der Suchexpedition.
Markgraf Kalveram unversehrt in südnuremburger Kerker gefunden!
Das Absonderlichste, was wir alle jemals erlebt haben ist es sicherlich, die ganze Zeit so getan zu haben als wären wir jemand anders, mit anderem Namen und anderer Herkunft. Aber ich will nicht vorgreifen.
Wir sollten Markgraf Kalveram suchen. Er war, von höchster Stelle autorisiert als Gesandter von König und Primus, im ersten Poëna 40 n.A. III nach Südnuremburg geschickt worden, um über das verzweifelte Hilfegesuch des verbliebenen Nuremburger Adels zu unterhandeln, das König und Primus kurz zuvor erhalten hatten.
Vorbereitungen und Anreise
Man wußte nicht, was uns erwarten würde. Baron Hagen von Grauburg, der ein Jahr nach der Entsendung des Markgrafen mit der Durchführung einer Suchexpedition beauftragt wurde, blieb genauso spurlos verschwunden. Weil bekannt war, dass sich im Nordwesten gelegentlich Handelsreisende auf den Weg ins südliche Nuremburg machen, veranlasste der König die Aufstellung einer kleinen, als Händlergruppe getarnten Spionagegruppe. An den Planungen und Vorbereitungen waren nur drei Personen beteiligt, Baron Gilbert von Dachsrode, Baron Jareck von Jolberg und Baron Richard von Arnach.
Im späten Saarka des Jahres 43 n.A. III, einen Monat vor unserem Aufbruch, trafen wir uns auf Burg Arnach. Gilbert von Dachsrode und ich waren schon informiert, alle anderen erfuhren erst jetzt, dass sie in nächster Zeit nach Nuremburg reisen und Händler und Handwerker für optische Instrumente zu sein vorgeben würden. Wir wurden einander kurz vorgestellt, mussten aber schon am nächsten Morgen damit beginnen, uns mit anderem Namen anzusprechen. Insgesamt waren wir zu siebt:
Federic von Marmond aus Lamorc, Tlamana. Glashändler und Investor
(mit wahrem Namen Gilbert von Dachsrode)
Ritter Tomrik vom Erlenkamm aus Wasserau, Emarania. Kaufmann für Augengläser, Lupen und Fernrohre
(mit wahrem Namen Normund von Lodenburg)
Lupert Pfannenblei, Optiker aus Arnstein, Arnach
Da man annahm, dass ich außerhalb meines Berufs kein bekannter Mann bin hatte ich keinen Decknamen, allein dass ich Optiker des Arnacher Ingenieurcorps auf Burg Arnach bin und vor langer Zeit Baron Jareck von Jolbergs Ordonnanzoffizier während der Unterzeichnung der Jolberger Verträge war, sollte geheim bleiben.
Romsen Sparhafer, Arnsteiner Glasmacher
(mit wahrem Namen Weldo Bergfeuer, Escandra. Ein kampferprobter Heliosritter, der es gewohnt ist, Dinge im Sinne des Königs einzuschätzen. Weldo kennt Kalveram von Audienzen am Königshof)
Rander Türnebel, Arnsteiner Glasschleifer
(mit wahrem Namen Harkil Kahlbruch, Holzfäller aus Köhlen, Tristenberg. Harkil ist ehemaliger Seesoldat der Ostarischen Marine und ein erfahrener Frontkämpfer. Er kennt Kalveram, weil er bei einer Überfahrt zu seinem Schutz eingeteilt war)
Flissa Kohlbrenner, Handelskontoristin aus Betis
(mit wahrem Namen Ephraima Schunkelbein, Ostarische berittene Eilbeamtin einer Behörde, die uns nicht einmal Jareck von Jolberg nennen wollte)
Gravel Rentano, Logistier aus Betis
(mit wahrem Namen Pernillo Windigmann, ebenfalls berittener Eilbeamter der unbekannten Behörde)
Weil mir klar ist, dass die beiden Eilbeamten manchen geneigten Botenlesern nicht unbekannt sind, möchte ich an dieser Stelle eines anmerken: Nicht einmal während unserer fast zwei Jahre dauernden Reise haben wir herausbekommen können, ob Ephraima und Pernillo ein Paar sind oder nicht.
Nachdem detaillierter Einweisung durch Richard von Arnach, Gilbert von Dachsrode und mich machten wir uns mit unserer Ausrüstung vertraut. Reisekleidung mit einfacher und unauffälliger Bewaffnung, Maultiere und zwei Karren mit einem Grundbestand an Vorräten und Waren, aber auch einem kompletten Arnacher Reiseingenieurswerkzeugsatz, vorgeschliffenen Linsen, Rohmaterialien, zwei Zelten, einem Ofen - es hat uns nur an einem gefehlt, nämlich an Fachwissen. In den verbleibenden drei Wochen versuchte ich, allen soviel wie nötig über die Glasgewinnung und -verarbeitung, die Gerätemanufaktur sowie die Funktion und die optischen Grundlagen der von uns mitgeführten Augengläser, Lupen und Fernrohre beizubrinngen. Auch die Strukturen des Fachhandels versuchte ich zu referieren, soweit ich dazu als Ingenieur etwas zu sagen vermochte.
Die Anreise ist schnell erzählt. Wir sind über Tristenberg und Hohenforingen nach Jolberg gezogen, wo wir uns bei einem verschwiegenen Kaufmann der Handelsmarine einschifften und flussaufwärts über Härtwigs Hafen nach Kratorpolis segelten. Über die Leomark und Vjoshaven näherten wir uns der Reichsgrenze. Während der Reise führte ich meinen Schnellkursus fort, und wir verkauften unterwegs auch tatsächlich ein paar Augengläser an einen Baumeister in Kratorpolis.
Nuremburg liegt jenseits einer Bergkette, die aus der ohnehin bereits sehr hoch gelegenen Landschaft Nordheligonias nicht übermäßig herausragt, mit Gepäck aber schwer zu begehen ist. Jenseits des Höhenzuges geht es tagelang bergab, denn Nuremburg liegt viel tiefer als Nordheligonia, darum ist es dort im übrigen auch viel wärmer als um Vjoshaven herum, vergleichbar vielleicht mit Ostarien oder Norrland-Brassach. Über die Berge gibt es nur wenige sichere Pässe, und nur drei davon sind mit Karren befahrbar. Markgraf Kalveram und Baron Hagen haben den mittleren Pass über den Windfall genommen, der in eine Provinz namens Bocksloch führt. Damit haben sie sich für die von Norrland-Brassach aus kürzere Wegstrecke östlich der Ödlande und durch das Ælvkildeland entschieden, wir aber wollten den westlichen Pass nehmen, um als Händler keinen Verdacht zu erwecken. Der dritte Pass befindet sich weit im Osten, er führt über die Kapuasberge in eine entlegene Provinz namens Birkenhardt. Das wäre viel zu weit und auch zu auffällig gewesen.
Brosswiks Zollstraße
Der Weg über den Pass im Westen führt über die Berge in eine Provinz namens Halt. Er wird Brosswiks Zollstraße genannt, und wer sie begehen will, sollte mindestens zwei, besser drei Tage einplanen. In der Nähe der sehr felsigen Passhöhe gibt es eine sehr klug entworfene und modern gebaute Burg, die direkt über dem steilen Weg liegt. Brosswik ist der Kommandant der Burg, und ohne seine Erlaubnis ist es unmöglich, auf der anderen Seite des Berges lebendig wieder hinunterzukommen. Die Burg scheint schon lange kein aus Halt beanspruchter Landesteil mehr zu sein. Glücklicherweise fand man unsere Waren sehr interessant und so konnten wir beschließen, ein paar Tage zu bleiben, um herauszufinden, was es mit der Brosswik und seiner Burg auf sich hat.
Wir halten es für wahrscheinlich, dass Brosswik nicht von ehrbarem Stand oder zumindest nicht in legitimer Position ist. Es ist etwas ritterliches an ihm, doch bezeugt er dies nur durch seine Rede und sein Gebaren, aber nicht seine Ehre, denn er sieht sich als frei und will keiner Herrschaft dienen. Sein Ausspruch ist von einer Art, dass sie heligonisch sein könnte. Städtisch, vielleicht aus Escandra, Betis oder Hochanthen, manchmal auf unbeabsichtigte Art unmanierlich. Er scheint sich sehr sicher zu fühlen. Die Mächte Heligonias sind fern und aus Nuremburg hat er wenig zu befürchten. Er kontrolliert die Burg noch nicht allzu lange, zehn oder zwölf Jahre vielleicht, aber in dieser Zeit ist es ihm gelungen, mit verschiedenen Fraktionen des zerfallenen Reichens in Kontakt zu treten und sich abzusichern. Ihn zumindest als gewogenen Freund zu wissen mag für uns in der Zukunft von Vorteil sein, zumal ein anderer Weg sehr teuer wäre, denn Brosswiks Burg ist im Streit kaum ohne großen Heerbann zu nehmen.
Es scheint, dass Brosswik es nicht zu verhindern beabsichtigt oder vermag, dass eine Vielzahl an Spitzeln auf der Burg zugegen sind. Sie halten ihre Herren darüber informiert, was auf der Burg geschieht, wer in den Norden reist, wer in den Süden, und welche Anlässe es dafür gibt. Manches mal wenden sie sich auch an Brosswik, wenn sie nach dem Gutdünken ihrer Dienstherren eine Durchreise gewährt oder verwehrt sehen wollen.
Am Abend vor dem dritten Tage schließlich beschlossen wir die Weiterreise in die erste Provinz auf Nuremburger Seite: Die Baronie Halt.
Halt
Es gibt einen Begriff, den wir erst auf unserer Reise kennengelernt haben: Die Verheerung. Er bezeichnet das, was übrig bleibt, wenn der Krieg zu oft über eine Gegend gekommen ist. Es gibt in diesen Landschaften nichts mehr, was noch eine Ordnung hat, Städte und Dörfer sind zerstört, geplündert, niedergebrannt; die Brunnen vergiftet, keine lebende Seele zu finden. Überall umher liegen die Gestorbenen, manche von ihnen mit gräßlichen Kriegswunden, manche äußerlich unversehrt, aber dahingerafft von Hunger oder unbekannten Krankheiten. Wieder und wieder kamen wir durch die zerstörten Landschaften. Und obwohl wir alle früher schon vielfach auf Heerfahrt gewesen waren, bleiben wir - ausnahmslos alle, mal für mal - erschrocken über das Gesehene. Von dieser Art war unser Eindruck von der Baronie Halt. Und was, so fragten wir uns, ist eine Baronie, wenn sie kein Mensch mehr bewohnt, und wenn ihr Name nur noch Reisenden aus einem fremden Land bekannt ist?
Unsere Reise wurde von Tag zu Tag eiliger. Aus Angst, uns anzustecken, übernachteten wir nicht in den Siedlungen, aßen ausschließlich von unseren mitgebrachten Vorräten und suchten stets nach Quellen in den Wäldern, wenn wir Wasser benötigten. Weitere Nachforschungen stellten wir nicht mehr an, denn wir wollten unversehrt in den Norden nach Hugluch gelangen, wo wir hofften, Hinweise auf den königlichen Siegelwahrer Graf Fenwik von Hugluch ausfindig machen zu können, der einer der Unterzeichner des Briefs an den König gewesen war.
Festgesetzt bei den Rebellen
Auf lebendes Volk trafen wir erst wieder nach einigen Tagen der Reise, und zwar in der Gestalt eines Hinterhalts. Unversehens standen wir einem Bauernheer gegenüber, vielleicht zehn Dutzend Männer, schlecht gerüstet, unorganisiert, aber allzu übermächtig in der Zahl. Sie schienen beinahe ebenso überrascht wie wir, hatten uns aber zuerst bemerkt und sich zu beiden Seiten des Weges im Wald und im Gebüsch jenseits eines Feldrains versteckt. Handel wollten sie nicht treiben, und es war auch offensichtlich, dass wohlgeschliffene Glaslinsen ihre Not nicht lindern würden. Die Elenden nahmen uns alles, was wir hatten, und wir mussten als Gefangene mit ihnen ziehen.
Wir wurden zu einem Teil ihres Trosses. Insgesamt mögen es dreihundert oder vierhundert verlorene Seelen gewesen sein; sie hatten alles, was ihnen an Habseligkeiten geblieben war, bei sich und auch drei Gefangene, zu denen wir gesperrt wurden. Es schien keinerlei herrschaftliche Ordnung zu geben, dennoch hatten sie einen ernannt, der sie anführte, Endel mit Namen. Er mag früher ein höherer Offizier gewesen sein, ein Heerführer vielleicht, kein schlechter Mann, voller Sorge für die Seinen. Er fragte uns erst aus und erklärte dann, dass man uns am Leben lassen würde, wenn wir uns dem Haufen unterwerfen und ein Dienstversprechen abzulegen bereit wären. Aus Neugier willgten wir ein.
Der Haufen zog nordöstlich in eine hüglige Gegend, die man uns nicht mit Namen nennen wollte. Immer dichter schlossen sich die Wälder um uns und wir wunderten uns täglich mehr, was der Haufen in der Wildnis zu schaffen hatte. Mitten in der Einöde schließlich wurde ein Lager errichtet, und wir erfuhren, warum man uns am Leben gelassen hatte: Wir sollten beim Bau eines Dorfes helfen.
Natürlich mussten alle anpacken, doch uns Gefangenen ließ man die vermeintlich schwerste und gefährlichste Arbeit, das Fällen der Bäume. Zum Glück hatten wir Harkil Kahlbruch dabei, dessen einzige Sorge die schlechten Axtstiele waren (sie brachen allzu schnell unter seinen kräftigen Hieben). Die anderen Gefangenen - es waren nur noch zwei, Keldo und Tulda, der Dritte hatte sich verletzt und sich einen fiebrigen Wundbrand eingehandelt, den er nicht überlebte - sie waren nicht sehr gesprächig, aber voller Hass auf den Haufen. Sie gaben ihnen allerhand Namen und erklärten, dass sie Verbrecher seien; Abtrünnige, die Adel und Klerus untreu geworden waren; Ketzer, Apostaten und Häretiker. Sie waren fest davon überzeugt, dass man uns alle töten würde, sobald man uns nicht mehr brauchen würde. Ansonsten war nicht viel von ihnen zu erfahren. Widerwillig arbeiteten sie mit und versuchten bei der ersten günstigen Gelegenheit die Flucht. Tulda schaffte es, Keldo nicht. Man richtete ihn grauenhaft zu, bevor er starb.
Auch Endels Haufen war nicht besonders gesprächig. Tulda und Keldo hatten vielleicht nicht ganz recht, sie schienen einfach eine Art freies Ceridenvolk sein zu wollen. Den Einen haben sie nie geleugnet, aber ihre Religion war nicht von einer Art, die wir kennen. An ihrem Umgang und Tagwerk fand sich vieles, was dem Einen gefällig sein mag, doch es fehlte auch einiges, was einen rechten Ceriden ausmacht und es gab Bräuche und Rituale, die auf uns sehr fremd wirkten.
Niemand verließ die Gemeinschaft, auch nicht für kurze Zeit, und kein Besuch fand jemals seinen Weg von außen ins Lager. Weil sie uns nicht so recht einzuschätzen wussten, trauten uns die armen Teufel des verlorenen Haufens nicht und wir vermuteten, dass sie uns aus Angst, dass wir den Weg in ihr Lager verraten könnten, niemals ziehen lassen wollten, auch wenn es offensichtlich war, dass sie uns nicht, wie von Tulda und den anderen Gefangenen angekündigt, töten würden. Allerdings war auch noch viel zuviel Arbeit zu tun, denn auch als die Bäume gerodet waren, musste der Grund urbar gemacht werden. Waldboden ist kein Ackerboden.
Wir hatten beschlossen, weiterhin niemandem zu verraten, wer wir wirklich waren. Auch vor den mit uns gefangen gehaltenen Tulda und Keldo hatten wir uns stets nur mit unseren falschen Namen angesprochen. Mit der Zeit fanden wir sogar Gefallen daran, uns Dinge über unsere falschen Herkünfte zu erzählen, Witzchen über Tlamana oder Betis zum Besten zu geben oder Dinge zu erklären, die wir als "Händler" für bedeutende Geschäftsfinessen hielten. Interessant ist, dass man nach einer Weile seinen falschen Namen annimmt und zum Beispiel darauf hört, wenn man gerufen wird. Es sollte sich im übrigen später noch als Vorteil erweisen, dass wir dieses Spiel zu wirklich jeder Zeit spielten, in der Anwesenheit Anderer sogar in der Nacht.
Über die Zeit - es war fast ein Jahr vergangen - kann ich sagen, dass der Rebellenhaufen nie wirklich unfreundlich zu uns war. Auf der einen Seite wurden wir wie Sklaven gehalten. Wir hatten Betten aus Reisig und im Lager keine Schuhe an. Dennoch war unsere Unterkunft nicht schlechter als die anderen, genauso einfachen Waldhütten. Wir wurden verpflegt wie die Eigenen, die harte Arbeit - wir wurden dazu gezwungen, sie verrichten, aber wir wurden nicht geschunden. Als ein paar Monate vergangen waren, sah das Lager schon fast wie ein Dorf aus. Die Jungen, auch die Zwanzigjährigen - es war offensichtlich, dass sie nichts vom Frieden wussten, doch jetzt lernten sie das Leben kennen, wie es sein sollte. Und als sich wohl nach einem Dreivierteljahr eine der Frauen auf die Suche nach ein paar Bienenstöcken gemacht hatte und anfing, einen feinen Met anzusetzen, da erklärte man uns zwar nichts über das Fest, das wir mitfeierten, doch gab man uns am Ende sieben Becher und wir erhielten sieben Anteile vom Ganzen.
Im Heerbann des Bischofs
Tulda, die geflohen war, hatte getan, was Endel und sein Haufen befürchtet hatten: Sie hatte das Lager verraten, und zwar an einen Mann, der sich Klavian nennt und der von sich glaubt und behauptet, als rechtmäßiger Bischof des Nordens der Schlüssel zur ceridischen Rettung des Königreichs zu sein. Keiner von uns hatte seinen Namen zuvor gehört und wir alle hegen schwere Zweifel an seiner Ehrlichkeit und seinen Absichten. Doch ich will nicht vorgreifen.
Klavian griff eines frühen Morgens mit einen Heerbann von vielleicht tausend Söldnern an. Der Kampf kostete viele das Leben, auch Unbewaffnete, und noch vor dem Mittag lagen alle Überlebenden in Ketten. Wir hatten uns von Anfang an beiseite gestellt und uns als Gefangene zu erkennen gegeben, was man uns auch auf Anhieb glaubte. Das überraschte uns im ersten Moment, doch wir fanden bald heraus, wer dafür verantwortlich war. Gleich nach dem Kampf ging der Bischof mit Tulda, der geflohenen Gefangenen, durch die Reihen und tötete nach ihrem Rat die meisten, manche davon sehr qualvoll. Ihr Geschrei nahm nicht ab den ganzen Nachmittag. Jeweils auf Tuldas Empfehlung bot er wenigen, die er für das Kriegshandwerk geeignetet und indifferent genug hielt, die Aufnahme in seinen Heerbann oder einen schnellen Tod an. Dabei versprach er auch, die Familien zu verschonen und sie ebenfalls aufzunehmen. Die meisten willigten ein. So erhielt der bischöfliche Heerbann vielleicht zwanzig zusätzliche Söldnerinnen und Söldner und ein paar zusätzliche Familienangehörige. Der verbliebene Rest wurde behandelt wie angekündigt.
Alles, was an Vorräten zu finden war wurde eingesammelt, das Dorf niedergebrannt. Dann wurden wir zu Klavian und Tulda gebracht. Klavian erklärte uns, dass auch wir nun die Ehre hätten, zum Heerbann des Bischofs zu gehören. Man brachte uns unsere Maulesel, unsre Karren, Vorräte, Werkzeuge, Waren - alles war vollständig und unbenutzt! - und wies uns an, dem Zug ins Heerlager zu folgen, dessen Zelte einige Wegstunden entfernt in Sicht kamen.
Das Lager war auf ein paar verwucherten, ehemaligen Feldern errichtet, Kinder und alte Frauen sammelten von verwildernden Getreidestängeln eifrig einzelne Ähren von den Halmen, um sie zu mahlen.
Die Strauchdiebe
Nach Bocksloch, das weit südöstlich lag, waren wir eine Weile unterwegs. Die wichtigen Verkehrswege waren fast überall verlassen, doch im Hinterland gab es das ein oder andere Dorf, wo man uns manchmal sogar eine Unterkunft anbieten konnte.
Eines Abends fanden wir abseits der Straße einen Gutshof, und wir hofften, dort vielleicht eine Nacht in Strohbetten verbringen zu können. Doch kaum dass wir das schön angelegte Geviert aus Wirtschafts- und Wohngebäuden erreichten, wurden wir von einer Bande von vielleicht zwölf Strauchdieben angegriffen. Es war der einzige wirkliche Kampf, den wir auf unserer Reise auszufechten hatten.
Den Anführer, der auf uns zukam und herablassend etwas von wehrlosen Händlern zu sagen begann, ließ Normund gar nicht erst ausreden sondern griff ihn direkt nach vorn an, Gilbert und Weldo dicht an seiner Seite. Harkil warf eine Axt nach einem Bogenschützen, der an einem Fenster oberhalb stand. Ephraima und Pernillo standen plötzlich rechts und links hinter den Flanken der Angreifer (ich könnte nicht erklären, wie sie dorthin gekommen waren), Harkil und ich setzten nach. Nach wenigen Momenten war der Kampf vorbei, gewonnen von den wehrlosen Händlern. Allein Normund trägt heute ein Andenken daran in seinem Gesicht.
Wir ließen die Toten nach Art des Landes liegen, plünderten die Küche des Hauses, in dem der Bogenschütze sich versteckt hatte und zogen weiter, die Nacht durch. Man weiß nie.