Die Sage von den Landfahrern
Vor sehr langer Zeit lebten in Borngart genauso wie heute Menschen, die ihren alltäglichen Verrichtungen nachgingen, um sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Zu diesen Menschen gehörte auch Conz Stier, der Fischer. Er hatte eine Hütte unten an jenem Fluss, der im Tal unter der Burg Stolzenfels fließt. Schon damals lebte vielleicht die Familie zu Stolzenstein dort, das weiß niemand mehr so genau. Conz Stier jedenfalls war ein harter und grober Mann. Seine Frau schlug er oft, wenn er die Reusen leer fand, denn dann ging er noch im Morgengrauen an die Schnapsflasche und wurde so noch grausamer in seiner Wut über den Misserfolg. Man munkelte im Tal sogar, Conz Stier hätte in einer solchen Laune einmal seinen Knecht erschlagen. Jedenfalls war sein Gehilfe eines Tages weg, aber ob er nur das Weite suchte, oder ob er wirklich starb, das weiß niemand.
In dieser Zeit war es, dass auf der Burg und im Tal und auch im Wald, zum erstenmal eine Gestalt gesehen wurde, die den meisten, die sie sahen, Furcht einflößte, wenngleich niemand sagen konnte warum. Es schien sich bei der Gestalt um einen Mann zu handeln, ganz in schwarze Gewänder gehüllt, einen seltsamen Hut hatte er auf und eine lange Nase, manche sagen auch, ein Maske. Nachts, wenn man ihn sah, trug er manchmal eine Fackel, die nie erlosch. Kam ihm einer, der töricht genug war, zu nahe, dann entzündete sich die Erde und seltsame Zeichen erschienen, oder die Wand färbte sich schwarz, manche wollen auch Blut gesehen haben. Keiner blieb lange genug, um zu sehen was dann passierte, aber es heißt, überall, wo der Schwarze auftauchte, brach bald darauf die Pest oder eine andere Seuche aus und so kam es, dass die Menschen die stumme Erscheinung nur noch den Pestmann nannten und zu den Göttern beteten, er möge ihre Hütte verschonen.
Eines nachts, noch vor dem Frühling, klopfte es auf Burg Stolzenfels an die Kammer, in der die Amme an der Wiege des kleinen Kindes des Burgherrn wachte. Sie dachte, die Herrin sei es vielleicht und öffnete. Doch wie erschrak das Mädchen als der schwarze Pestmann vor ihr stand, wortlos an ihr vorbeiglitt und zur Wiege schritt. Sie schrie auf griff nach dem Kinde und rannte hinaus. Auf der Treppe stolperte sie, fiel hin und brach sich den Hals, dem kleinen Kind jedoch war wie durch ein Wunder nichts geschehen. Als die Burg von dem Lärm erwacht war, kam der Herr an die Treppe, fand die Tote mit grausam entstellten Zügen im Gesicht, aber auch das Kind, wie es lebte. Man trug es in die Kammer zurück, doch wie erschrak man, als an der Wand schwarze Zeichen zu sehen waren. jeder wusste, was das bedeuten musste und man klagte den Göttern das Leid der Herrin und des Herrn. Kurz darauf brach auf der Burg eine Seuche aus, die nach und nach die Menschen hinwegraffte, jedoch nicht die Herrin und das Kind erfasste. Während dieser Zeit war der Pestmann oft zu sehen und die Menschen jammerten und wehklagten und sahen sich vor, dass die Türen bei Einbruch der Dunkelheit fest verschlossen waren.
Da die Herrin, ihr Gatte war an der Krankheit gestorben, immer mehr Leute ihres Hausstandes an den Tod verlor, erließ sie den Befehl, dass die Menschen im Tal ihr auf der Burg Dienst zu leisten hätten. So kam es, dass eines Tages Conz Stier übellaunig auf der Burg ankam, um seinen Frondienst anzutreten, der eine Woche dauern sollte. Keiner wollte gerne den Dienst verrichten, denn alle hatten Angst vor dem Fluch des Pestmannes. Conz Stier gab sich unleidig und war kaum eine Hilfe. Meist soff er in der Taverne und nur die Stockhiebe des Verwalters trieben ihn mitunter an. Eines Tages jedoch schlich Conz einem der Backweiber nach, das ihm gut gefiel, er stellte sie auf der Brücke zur Vorburg und forderte sie auf ihr zu Willen zu sein, was sie jedoch nicht leiden mochte und anfing zu schreien, dass die Leute zusammen kamen. Der Verwalter sprang herbei und ließ den Stier festsetzen und ihm einen Satz Hiebe geben. Bald darauf verstarb er an der Seuche. Conz Stier jedoch sann auf Rache. Als man ihn wieder laufen ließ, ging er nicht zurück ins Tal, sondern er blieb bis zum Abend auf der Burg und wartete auf eine gute Gelegenheit. In der Dämmerung stieg er aufs Dach des Burgfrieds und versuchte, ihn zu entzünden. Auf dem Söller jedoch stand ein Bogenschütze, der sah ihn und schoss. Conz Stier schrie auf, taumelte und stürzte in den Abgrund hinter der Burg. Jedoch verfluchte er zuvor den Schützen und die Burg, indem er schrie, dass er nicht verwesen wolle, bis dass er sich habe rächen können. Kaum war sein Todesschrei verklungen, erschien der Schwarze im Rittersaal und schrieb Zeichen aus Feuer auf den Boden. Aus Angst verließ die Herrin die Burg mit ihrem Kind und flüchtete zu einer Kräuterfrau im Wald, zu der sie vertrauen hatte.
In der folgenden Nacht jedoch begann das Grauen auf der Burg und die, die es sahen, und später noch davon erzählen konnten, schworen, dass Conz Stier dabei war: Nachdem der Mond untergegangen war, erhob sich ein Rauschen und Brüllen in der Nacht und die Menschen, die davon auf der Burg aufwachten und nach draußen eilten, erbebten vor Schaudern. Was sie sahen nannte man in der Folge ‚die Landfahrer’. Sie brachen über die Menschen herein wie eine Flut und kaum einer konnte entkommen, geschweige denn Widerstand leisten. Ihr Schrecken war unendlich groß, ihre Kraft ungeheuer und ihre Grausamkeit nicht mit Worten zu beschreiben. Vorneweg wurden die, die den Mut hatten sich zur Wehr zu setzen von einer Horde dunkler Peinknechte überrannt und niedergemacht, die sich um die Schädelträger geschart hatten, wie man es in der Folge noch so oft sehen sollte. Dahinter riefen die verfluchten Wehklägerinnen ihre Flüche in den Wind und den Menschen erstarrte Mark und Bein. Das ganze Grauen wurde begleitet von einem furchtbaren Lärm, der sogar die Schreie der Menschen übertönte: Schlachtrufer mit Pfeifen und Trommeln spielten schauerlich auf. Doch das furchtbarste war der Schrecken ohne Namen, den die Menschen der Gegend ‚Angstfleisch’ nennen sollten. Ein Koloss grässlichsten Gestanks, der alles niederwarf, was sich hätte verteidigen mögen und noch nicht wahnsinnig vor Furcht war.
Keiner, der beim ersten Lärm nicht sofort gerannt war, kam auf der Burg mit dem Leben davon. Die Toten wurden aber auch nicht begraben, sondern sie, so erzählt man, wurden von eklen Beinnagern gefressen und man erzählt sich weiter, dass manch einer später in der grausigen Truppe wiederzufinden war.
Die Landfahrer ergossen sich in der Folge über das Land, Dorf um Dorf wurde niedergemacht, Hütte um Hütte heimgesucht, und wo immer esie auftauchten, da kam zuerst der Pestmann! Die Bewohner wussten bald, was es bedeutete und nahmen die Beine in die Hand.
Das ganze Land wurde entvölkert und verwüstet, doch eines Tages war der Spuk vorbei. Das böse Heer wurde nicht mehr gesehen und keiner weiß, wo es hin ist. Aber man erzählt sich, dass es eines Nachts hinunter ins Tal gezogen sei und unter Lärmen und Brüllen einfach in den Fluss getaucht sei, der es verschluckt habe. Seither, so sagt man, sind die Fische dort verflucht und keiner fischt mehr an jenem Ufer.
Die Herrin der Burg jedoch hatte bei der alten Kräuterfrau im Wald überlebt und kam mit ihrem Söhnchen zurück auf die Burg, errichtete wieder die Herrschaft und lebte in Frieden, denn auch der Pestmann wurde nicht mehr gesehen.