Meister der Farben
Es war einst im Herzogtum Nurian ein Baron, genannt Berthold der Zenker. Alt und betagt saß er in seiner Burg, um sich dort an seine früheren Tage zu erinnern. Ach wie schön waren die Erinnerungen an all die Kämpfe und Metzeleien. Seine Hand war so stark, dass er mit einem Schwerthieb Reiter samt Ross in zwei Teile schlagen konnte. Heuer konnte er noch nicht einmal sein Essen ohne Hilfe zu sich nehmen.
Den eigenen Tod vor Augen bekam er es mit der Angst zu tun und rief nach der Geweihten der Quara. Diese verabreichte ihn stärkenden Sud und wollte schon wieder gehen. Da sprach Berthold: „Halt, ich will noch mehr von dir! Gib mir ein Elixier, auf dass ich ewig lebe!“ Die Geweihten der Quara erschrak: „Was ihr verlangt ist wider dem göttlichen Kreislauf und schlimmste Frevel an all unseren Göttern.“
Zornig rief der Baron seine Wachen, auf dass sie die Quara-Tochter in den Kerker schmissen.
Man schickte nach einem Apotheker aus der Stadt Greyvenbrug. Als dieser Eintraf, gab er Berthold seine berühmten blauen Pillen, auf das alle Glieder wieder steif und kräftig werden. Sofort spürte der Zenker wieder seine Manneskraft aufsteigen und konnte dank der Behandlung wieder ohne fremde Hilfe stehen. Doch nach ein paar Momenten ließ die Wirkung nach und er sank kraftlos zurück in seinen Stuhl.
Zornig rief der Baron seine Wachen, auf dass sie den Apotheker in den Kerker schmissen.
Der alte Grießkram ließ seinen Schreiber Aushänge fertigen, in denen er nach dem Wunder des Lebens suchte. Als Lohn sollen seine Burg und all sein Gold winken. Boten verteilten die Blätter noch über die Grenzen Nurians hinaus; ja sogar bis nach Heligonia hinein.
Ein Händler aus dem fernen Darian las dies merkwürdige Gesuch und machte sich auf dem Weg. Nach einigen Wochen mühsamer Reise erreicht er die Burg von Berthold. In edlen, nach Gewürzen duftenden Seidengewändern trat er erhaben Südländer vor den alten Zenker. Alle im Saal waren tief beeindruckt von so einem noblen Auftreten. Der Händler zog eine Phiole unter seinem Gewand hervor und präsentierte: „Allerwertester wohlgeborener Baron, ich biete euch die Essenz des Lebens. Sie wurde von einem Alt-Meister der Mechanik mit Hilfe seiner Apparaturen aus der Lebensessenz von verurteilten Verbrechern gewonnen. Nur ein Schluck und Jugend als auch Kraft werden wieder zu euch zurückkehren.“
Nach einer Pause erwiderte Berthold: „Ich solle den gammligen Leichensaft vom Abschaum der Gosse trinken?!?“
Zornig rief der Baron seine Wachen, auf dass sie den Darianer in den Kerker schmissen.
Die Tage vergingen ohne dass sich ein Weiterer meldete. Keiner mit gesundem Verstand verspürte die Lust im Kerker des Tyrannen zu landen. Doch eines Morgens klopfte ein Mann so laut an das Burgtor, dass man es noch in der Nachbarbaronie hören konnte. Die Wache ließ einen heiteren Mann mit Diestel-Haar, Ziegenbart und bunten Wams herein, auf dass er beim Baron vorsprechen solle. Mit einer tiefen Verbeugung sprach er zum Zenker: „Ich bin der Meister der Farben und will nach einer Abmachung euren Wunsch erfüllen.“ „So wenn du es schaffst meine Knochen stark, mein Fleisch fest, meine Haut straff machst und mir die Bürde des Alterns nimmst; so soll dir alles gehören was mein,“ erwiderte der Greis. „So dann, der Handel gilt.“ lachte der Meister, zog eine Knochenflöte hervor und begann so gleich darauf zu spielen. Die Farben im Raum begannen fröhlich im Rhythmus zu tanzen. Berthold sprang auf, klatschte in die Hände und tanzte lachend mit. Als das Lied verklang, setzte sich der Meister der Farben feist auf den Stuhl des Barons und betrachtete dessen versteinerten Körper mit großer Zufriedenheit.
„Wachen, “ rief der Meister lachend, „entlasst alle Gefangenen aus dem Kerker! Holt alle Knechte, Mägde, jeden der hier lebt, alles Vieh und bringt sie gleich ins nächste Dorf!“
Die Wachen taten wie ihnen geheißen. Noch nicht einmal die Mäuse blieben freiwillig zurück. Als sich eine der Mägde auf halber Strecke nach dem alten Zuhause umdrehte, schien die Burg in allen Farben bunt zu leuchten und war im nächsten Moment fort.
Das Gemäuer ward nie mehr gesehen. Auch später traute sich niemand mehr dort eine neue Burg zu errichten. In kalten Herbstnächten, wenn der Wind heult, meint so mancher Schafshirte noch das Pfeifen einer Flöte und das Klatschen der Hände zu hören.