Die Schwarze Auster

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Wer zur See fährt und etwas auf sich hält, kommt um die Schwarze Auster auf dem Herzog-Uriel-II-Atoll schwerlich herum. In der Herzöglichen Ostarischen Hofgazette des 62. Heligonischen Boten (2. Helios 34 n.A.III) findet sich der Reisebericht eines jungen Leichtmatrosen, der in diese für Nichtseeleute unzugängliche Taverne auf seiner ersten Fahrt über das Salzmeer eingeführt wurde:


Es ist schon drei Jahre her, irgendwann im 3. Poenamond. Ich fuhr bereits seit zwei Jahren bei der Brazachflotte und war bisher noch nie über Betis hinausgekommen. Jetzt aber eskortierte das Schiff, auf dem ich geheuert war, einen Konvoi zum Herzog Uriel II Atoll. Ich war gespannt wie ein Winschtau, endlich das offene Meer und das exotische Atoll in der Jolsee zu sehen. Unglaublich, diese gewaltige Wasserfläche. Die Möwen, die Delfine! Die Sonne ließ mir die Lippen rissig werden und der Salzgeschmack des Meeres war überall, aber ich liebte das.

Ich war immer noch einer derjenigen, die "frisch an Bord" waren, gehörte zu den Leichtmatrosen. Allerdings hatten einige der Toppgasten beschlossen, dass aus mir was werden könnte und so hatten sie mich schon vor geraumer Zeit unter ihre Fittiche genommen. Ich erntete wohlwollende Blicke von ihnen, als ich auf der Jolsee nicht von der Seekrankheit befallen wurde. Auch wurden meine Schritte auf dem schwankenden Deck nicht unsicherer.

Immer wieder bemerkte ich, wie meine Mentoren hinter meinem Rücken über mich sprachen, mir stand es aber nicht zu, zu fragen worum es ging. Das Meer war ruhig, die Winde waren uns hold und die Hitze drückend. Endlich kündigte der Navigator an, dass wir wohl am nächsten Tag unser Ziel erreichen würden. Wie groß war meine Aufregung. Es war Zeit, dieses sagenumwobene Eiland zu sehen. Und tatsächlich! Gegen Mittag des nächsten Tages kam über den Bug Land in Sicht. Zuerst winzig dann immer größer werdend eine Gruppe von Inseln, zu der wir unterwegs waren.

Wir umfuhren die größte der Inseln zur Lee und schon hatte ich das Paradies vor Augen! Palmen, weite Strände und prächtige Gebäude. Fröhliche Menschen tummelten sich am Strand und winkten und freudig zu. Der Kapitän ließ zusätzlich zur ostarischen Flagge das Banner von Betis aufziehen und das Winken vom Strand her wurde noch euphorischer. HU-II, hier war ich also. Wir zogen an der Heliosbrücke, dem großen Landungssteg des zivilen Hafens vorbei, wo zwei große Pötte lagen (ein Heligonischer und ein ausländischer Handelsfahrer) und liefen den Kriegshafen an. Eine Menge Betrieb herrschte hier, mehrere Schiffe der Flotten von Ostarien und Thal lagen am Kai und so konnten wir nur auf Reede gehen und es musste per Beiboot übergesetzt werden. Und welch ein Glück, bis auf eine Hafenwache hatte die Mannschaft Landgang bekommen!

Da ich mich auf der Fahrt ordentlich benommen hatte, war auch für mich Landgang angesetzt. Großartig! Endlich Flamingobars sehen! Endlich über die berühmte Strandpromenade gehen! Da könnte ich zu Hause etwas erzählen. Thore, einer meiner Mentoren kam auf mich zu. "Kleiner, heute abend kommst du mit uns. Heute gibt's was Besonderes!" "Gut! Immer gerne!" Ich fragte mich, was das wohl werden sollte. Die Toppgasten blieben besonders beim Landgang immer unter sich. "Kommen Gregor und Wiedekin auch mit?" Die beiden waren erst sein einigen Monden an Bord und ich hatte mich mit ihnen angefreundet. "Nein" brummelte Thore. "Die sind noch nicht so weit. Du kommst allein."

Eine Stunde vor Sonnenuntergang setzten wird über, drei der Toppgasten und ich. Wir landeten im Kriegshafen. Während der kurzen Überfahrt erfuhr ich nur, dass es wohl in eine Kneipe gehen sollte. Als wir aber im Kriegshafen standen und ich in Richtung Standpromenade wenden wollte, hielt mich eine Hand an der Schulter fest. "Falsche Richtung Junge, wir bleiben hier im Kriegshafen". Eine Kneipe? Hier? Davon hatte ich noch nie gehört. Aber warum sollten meine Begleiter lügen? Wir stapften also im breiten Seemannsgang über die Hafenmole und tatsächlich, neben der Hafenmeisterei fand sich ein Haus, an dem ein geschmiedetes Wirtshausschild hing. Neben einem Krug waren dort einige Worte zu lesen. "Zur Schwarzen Auster", meinte Thore und in seinen Worten klang eine Mischung aus stolz und Ehrfurcht mit. Die gelblichen Bleiglasfenster waren klein, das Haus selbst dreistöckig und aus Fachwerk. Die Wände waren schneeweiß, die Balken pechschwarz. Es wirkte irgendwie geduckt, als ob es sich schon gegen den nächsten Herbststurm legen würde. Die Tür war groß und einladend, aber sehr massiv gehalten und davor stand ein Kerl wie ein Baum, wohl der Türsteher. Vor ihm ein Grüppchen von fünf jungen Betisern. Es war wohl ein Wunder oder zumindest ein größerer finanzieller Aufwand nötig gewesen, dass diese fünf überhaupt im Kriegshafen waren. Nun aber standen sie anscheinend vor einer Hürde, die sie mit Geld nicht einreißen konnten. "Mein Onkel sitzt im Hohen R at zu Betis und wenn du uns nicht einlässt, dann sorge ich dafür, dass der Laden die Konzession verliert!" Drohte einer der Fünf keck. "Jaja. Noch so eine hohle Drohung und du bist der Einzige, der was verlieren wird. Zähne nämlich." Thore sah sich die Szene schmunzelnd einige Augenblicke schmunzelnd an, dann ging er auf die Tür zu. Er deutete auf mich, nickte kurz und meinte zum Türsteher "gehört zu mir". Der Türsteher nickte ebenfalls und machte uns bereitwillig Platz. Den Betisern blieben die Münder offen stehen. Der vorlaute Geck rief hinter mir noch "ich gehöre auch zu ihm!" Ich hörte noch ein einzelnes, lautes Klatschen, dann war Ruhe. Keiner regte sich auf. So was kam wohl öfter vor.

Dann waren wir drinnen, in der Schwarzen Auster. Der Raum war recht groß. Die Wände hingen voller Bilder, seemännischem Zeug und Kuriositäten. Die Luft war geschwängert von Tabaksrauch, dem Geruch von vergossenem Rum und einem unbeschreiblichen exotischen Duft, den ich nicht deuten konnte. Die Fenster waren klein und trübe und waren wohl auch bei Tage nicht in der Lage, den Raum halbwegs zu erhellen. Nun, am frühen Abend, waren auch die Lampen, die im Raum hingen, kaum in der Lage, für mehr als Dämmerlicht zu sorgen. Die Decke und der ausgetretene Dielenboden, beides aus dunklem Holz, ließen den Raum trotz seiner Höhe gedrungen wirken. Im ganzen Raum verteilt standen runde Tische, an denen allerhand seefahrendes Volk saß. Ein Teil, vielleicht ein Viertel des Raumes war um eine Stufe erhöht und davon wieder ein Teil, gerade groß genug für einen großen runden Tisch um zwei Stufen. Gegenüber der Tür befand sich eine lange Theke, an deren Rückwand sich ein Regal voll der verschiedensten Flaschen befand. Zwei Schankknechte füllten die Becher der Gäste oder die Tabletts der drei Schankmaiden. Diese (jede für sich eine Augenweide) versorgten die Leute an den Tischen, immer wieder mit dem einen oder anderen kokettierend. Im Moment befanden sich 30, vielleicht 35 Leute im Raum, womit ungefähr die Hälfte der Stühle besetzt war. Man sagt, man kann einem Menschen seinen Beruf ansehen. Wenn das irgendwo auf der Welt stimmte, dann hier. Das auftreten eines jeden Gastes rief einem das Wort "Seemann" förmlich entgegen. Obwohl ich schon zwei Jahre zur See fuhr fühlte ich mich plötzlich wie ein unerfahrener Frischling.

"Das Kleiner, ist die Schwarze Auster. Kneipen wie diese gibt es in Heligonia nur sehr wenige, aber die Auster hat bei weitem den verwegensten Ruf. Wenn du hier am Türsteher vorbeikommst, dann kannst du dich mit Recht Seemann nennen. Wenn du aber keiner bist, dann wirst du mit keiner Armee hier reinkommen. Gib acht, denn es gibt Regeln und gegen sie zu verstoßen ist kein kleines Vergehen. Dort auf der ersten Erhöhung sitzen die Bootsmänner und Decksoffziere, oben die Offiziere und Kapitäne. Sonst niemand. Du musst sie hier nicht grüßen, auch nicht den eigenen Kapitän, aber zeige Respekt. Egal was hier geschieht, ob Prügelei oder harte Worte, draußen wirst du dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Nur hier drin. Wenn du es aber übertreibst, dann kann das sehr übel werden. Wer hier ist, der begleicht seine Zeche, bevor er wieder auf See geht, sonst gehört er den Redonskindern. Die Mädels darf man ansehen und ihnen schmeicheln, anfassen ist verboten, außer sie fangen an. Und wenn sich Leja, die Chefin, sehen lässt, dann kannst du bestenfalls von ihr träumen, mehr aber auch nicht. Und glaub mir, das wirst du tun!" Thore lachte kurz. "Den Rest lernst du von allein."

Wir setzten uns und ließen ein einfaches Mahl kommen. Was heißt da einfach! Mein erstes Gericht auf der Insel war eine Offenbarung! Es war eine mir unbekannte Art Fisch mit rötlichem Fleisch in einer weißen Soße, die süß und zugleich scharf war. Es sollte wohl ein Essen für arme Leute sein, aber nie zuvor hatte ich so etwas Köstliches verspeist. Meine Begleiter waren hier wohl nicht unbekannt und unterhielten sich mit einigen Gästen und auch ich wurde ihnen vorgestellt. Wir tranken dunkles Bier und spielten Würfel. Wir rauchten Pfeife und sangen wüste Seemannslieder, als jemand das Schifferklavier hervorholte. Mittlerweile war es Nacht und die Schwarze Auster war brechend voll. Sogar der Kapitänstisch war wohl besetzt.

Dann kam sie: Eine Tür schwang auf und Leja betrat den Raum. Es gab kein Zeichen und keine Vorankündigung, aber innerhalb eines Herzschlages war Ruhe und es dauerte Minuten, bis alles wieder seinen Gang fand. Bei Xurls Haupthaar, was für ein Weib! Braungebrannte Haut, das bildhübsche Gesicht umrahmt von pechschwarzem Haar. Und dieser Leib! Ich schwöre euch, in einer ganzen Kiste voller Schlangen hat es keine so wohlgeformten Kurven wie die ihren! Sie war gehüllt in Kniebundhosen und einem Hemd samt Korsage mit einem Dekolleté, welches so manchem den Verstand raubte. Jede Lindfurter Betschwester würde mit Sicherheit ihre Jungfräulichkeit geben, um nur eine Nacht so auszusehen, wie diese Lady. Ich brauchte Minuten, um den Kiefer wieder hochzuklappen. Sie ging von Tisch zu Tisch, sprach mit den Gästen, lachte und schien alles sichtlich zu genießen. Lange schon hatte sich alles wieder beruhigt und ging seinen Gang, da stand sie bei uns am Tisch. Wir grüßten sie freundlich und auch jetzt hatte ich den Eindruck, dass Thore und die anderen nicht zum ersten mal mit der Dame sprachen. Und natürlich erwähnten sie, dass ich heute zum ersten mal hier war. "Soso, zum ersten mal auf großer Fahrt! Wie heißt du denn, Kleiner?" "Hilgrim." Mehr brachte ich nicht hervor. "Sehr gesprächig scheinst du ja nicht zu sein. Aber keine Sorge, das gibt sich! Ich wünsche dir immer ein Handbreit Wasser unterm Kiel, Hilgrim!" Dann geschah das Unglaubliche. Sie beugte sich zu mir herab und küsste mich auf die Wange. Ich kann euch heute noch genau sagen, wohin. Dann ging sie lächelnd weiter. "Harrr!" raunzte Thore. "Sie hat dich auf die Wange geküsst! Bei Saarkas Augenbrauen, heute zahlst du, das wird nicht billig!" Und billig wurde es auch nicht. Grog kam auf den Tisch. Erst tranken wir Rum mit Wasser, dann Rum ohne Wasser, dann Rum wie Wasser. Zugegebener Maßen kann ich keine Auskunft geben, wie der Abend endete. Ich kann mich noch grob an eine Schlägerei zwischen den Jungs von unserem Schiff und ein paar komische ausländische Seeleuten erinnern. Wir gewannen und sie zahlten die nächste Runde. Ich erinnere mich daran, dass zwei Kapitäne im Armdrücken gegeneinander antraten, worauf horrende Wetten abgeschlossen wurden und sehr schemenhaft erinnere ich mich an eine rassige Rothaarige, in deren Armen ich mich wiederfand. Ich erwachte am nächsten Morgen in meiner Hängematte. Von der Rothaarigen keine Spur, nur Lejas Kuss brannte noch auf der Wange. Ich hatte keine Ahnung, wie ich hierher kam, aber Thore schüttelte mich. "He, Hilgrim! Auf mit dir, wir haben zu tun. Aber übertreib es nicht mit der Arbeit, heute abend ziehen wie wieder los. Hast ja gestern ganz schön vorgelegt!" Dieses morgendliche Erwachen war das erstaunlichste, was mir passieren konnte. Seit zwei Jahren war ich für die Topgasten ein Grünschnabel, der Kleine, das Landei oder sonst was. Das Wecken war ein Schrei des Bootsmannes und wenn man den verschlief, dann gab es Ärger. Ich war nie mit Namen angesprochen worden und nie wachgerüttelt worden. Irgendwas war heute anders. Auch an den nächsten Abenden waren wir in der Auster. Alle Topgasten sprachen mich nun mit Namen an, der Türsteher ließ nun auch mich durch und am vierten Tag ließ ich mir ein Bild auf den Arm stechen. Eine Woche später wurde ich zum Vollmatrosten befördert und da ich mich gut anstellte gehörte ich bald zu jenen, die bei jedem Wetter auf den Mast stiegen, den Toppgasten. Bei all meinen Fahrten, die ich bisher zum Atoll unternommen habe war ich nur einmal auf der Strandpromenade unterwegs. Ganz nett da. Viele Urlauber, bunte Cocktails und hübsche Läden. Aber wenn man wirklich was erleben will, dann muss man einfach in die Schwarze Auster. Jetzt weiß ich auch, warum die Betiser Halbstarken in die Schwarze Auster wollten und niemals dort Einlass gefunden hätten. Es ist und bleibt eine Seemannskneipe. Seeleute aber bleiben gerne unter sich.



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